‚Ausgeliefert‘ fühlen sich im Moment viele. Und zwar der Situation in der Pandemie. Auf der einen Seite werden einem Rollen aufgezwungen, die man sonst nicht hat und auch nicht will: Eltern werden zu Lehrer*innen, Erstsemester und andere Studis zu Stubenhockern und Einzelgängern.
Auf der einen Seite werden uns Rollen genommen, die wir doch so gerne ausfüllen: Kreisläufer in meinem Handballteam, Schauspieler in der Theatergruppe, Helfer*in im Ehrenamt…
Ausgeliefert sein klingt für mich irgendwie wie das Gegenteil von Freiheit. Ausgeliefert – da kann ich nichts mehr selbst bestimmen. Was mich wirklich ausmacht, interessiert keinen, meine Kreativität, meine Emotionen, alles spielt keine Rolle mehr. So stelle ich mir ausgeliefert sein vor.
Wir genießen heute in unseren Breiten normalerweise eine Freiheit wie sie Menschen niemals zuvor hatten. Meinen wir zumindest. Klar, gibt es Zwänge auf der Arbeit, denen ich ausgeliefert bin – wie eben Dein Paketbote. Und vielleicht gibt es das in deinem Job ja auch.
Aber in der Freizeit, da kann ich machen, was ich will. Naja, meine ich zumindest. Gut, alle meinen, ich sollte mal ein bisschen Sport treiben. Man muss halt so schauen, was der Mainstream macht. Man will ja nicht alleine dastehen.
Aber meinen Konsum, was ich esse und trinke, was ich trage und kaufe, das bestimme ich. Hm. Oder doch nicht? Konsumzwang, Werbung, das beeinflusst auch mich. Und wo mein Essen herkommt, das weiß ich auch nicht wirklich.
Wie sieht es also aus mit meiner Freiheit? Wo bin ich ‚ausgeliefert‘? Wir alle Leben in einem verwobenen Miteinander. Das bedeutet Freiheit und Verantwortung, aber eben auch Pflichten und manchmal auch Zwänge. ‚Ausgeliefert‘ klingt aber so, als ob ich in einer Ecke stecke, aus der ich aus eigener Kraft nicht heraus komme, es aber eigentlich gerne möchte, weil die Situation nicht gut ist, mich unterdrückt, mich ausnutzt.
Ausgeliefert sein steht für mich auch dafür, dass ich keine Chance habe, etwas zu verändern. In diese Lage begibt sich keiner endgültig und freiwillig keiner. Im christlichen Glauben hat es einer getan: Jesus. Er hat sich selbst ausgeliefert, sich geißeln und verhaften lassen bis zum Tod am Kreuz. Und dabei dennoch nie seine Würde verloren.
Muss ich mich als Christ jetzt auch selbst ausliefern? Nein. Eben gerade nicht. Jede Christin, jeder Christ ist zur Freiheit berufen. Und wenn Du eines tun kannst, so wie er es vorgemacht hat, dann das: Behalte – in jeder Situation – Deine Würde, deine innere Freiheit, den Respekt vor Dir selbst – und den vor anderen. Und dann wirst Du die Situation verändern. Für Dich. Für andere.
Natürlich ist das im Alltag manchmal ganz schön verzwickt. Ich will ja nicht, dass der Paketbote seinen besch….eidenen Arbeitsbedingungen ausgeliefert ist. Also muss ich halt bei der Wahl meines Paketdienstes mal etwas gründlicher schauen. Oder überlegen, ob das Paket wirklich so groß sein muss. Oder ob ich es überhaupt verschicken muss. Vielleicht setz ich mich ja aufs Rad und fahr es eben selber rum…
So zu überlegen in jedem Lebensbereich, für alles in meinem Alltag – puh, das schaffe ich auch nicht. Aber da, wo es mir wichtig ist, wo mir Würde und Respekt für andere und für mich selbst wichtig sind, da muss ich halt genauer hinschauen, wie es geht, damit es ‘menschlich’ ist. So wird ‚Ausgeliefert sein‘ niemals ein Dauerzustand. Und das darf es auch nicht. Nicht für mich, nicht für den DHL-Boten, noch für sonst jemand auf der Welt. Ich finde: Dafür lohnt es doch, mal mein eigenes Denken und Handeln genauer zu betrachten.